Der Start ins neue Jahr, und dazu gibt es gleich die passende Indie-Autor-Challenge. Autor Dietmar Hesse hat Violet Truelove & Lindsay Lovejoy nominiert und ihr 15 Wörter vorgegeben, die sie in ihre Kurzgeschichte einbauen musste. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen.
Glücksbringer
Projektil
Kinderwagen
Strafraum
Sesamstraße
Badewanne
Aufzug
Neujahr
Schmerzcreme
Kuss
Marzipan
Hochsitz
Stubentiger
Blitzableiter
Der ganz normale Wahnsinn zwischen Strafraum und Seamstraße hat ein Ende, wenn ich in der Badewanne liege oder mit Opa auf der Jagd bin. Genau genommen ist Opa auf der Jagd und ich bin eher dabei, damit er alt und tattrig wie er inzwischen ist, keine Frischluftfanatiker mit Hirschen verwechselt. Bisher ist das auch noch nie passiert. Olli behauptet, dass das an der Hasenpfote läge, die er Opa zum fünfundachtzigsten Geburtstag geschenkt hat und die nun als sein Glücksbringer fungiert, doch wie so oft hat mein Mann keine Ahnung. Er weiß nicht, wie es hier zugeht.
Aber ich genieße die Stunden mit Opa. Eigentlich sollte Olli mit ihm hier sein. Ist ja schließlich sein Vater, aber Olli mag die Natur nicht. Also begleite ich unseren Vorzeigeförster und hänge meistens meinen trüben Gedanken nach, denn ehrlich, Muttersein habe ich mir immer anders vorgestellt. Irgendwie entspannter. Ich hatte da dieses Bild vor Augen. Olli, die Kinder und ich, alle eine große glückliche Familie. Doch Olli ist so gut wie nie zu Hause. Er hat einen richtig stressigen Job. Ist Prokurist in einem mittelständischen Unternehmen und immer auf Achse. Wenn er heimkommt fungiere ich als Blitzableiter für seinen Frust. Alleine deshalb MUSS ich Opa hin und wieder begleiten. Ich muss einfach mal raus, denn zu Hause fällt mir die Decke auf den Kopf. Und abgesehen davon? Wie lange ist es her, dass Olli das letzte Mal eine Windel gewechselt, ein Fläschchen gegeben oder einen Kinderwagen geschoben hat? Ewig! An diesem Neujahrsmorgen Zeit mit Opa zu verbringen, fernab von Ollis Nörgeleien und dem Geschrei meiner drei Racker, ist Balsam für meine geschundene Seele.
„Gib mir mal das Dings aus dem Rucksack!“
„Das Dings?“
„Du weißt schon, Charlotte. Das Dings“, murrt Opa ungeduldig.
Ich beginne im Rucksack herumzukramen. „Wasser?“
Opa schüttelt energisch den Kopf. „Das andere Dings!“
Klar, jetzt weiß ich genau, was er meint. „Marzipan?“
„Nein, Charlotte! Das in der Tube!“
„Die Schmerzcreme? Tun deine Arme wieder weh?“
„Ja!“, schreit er enthusiastisch.
„Psssssst!“, mache ich – schließlich sind wir auf der Jagd und noch vor ein oder zwei Jahren war er es, der mich angezischt und mir den Mund verboten hat. Ich bücke mich wieder, krame in der Tasche und hole die Salbe raus. In dem Moment, in dem ich mich aufrichte, macht es neben mir ‚Klick’.
„Mist!“, kommt es von Opa.
„Warum? War doch ein guter Schuss!“, lobe ich ihn und drücke ihm einen Kuss auf die Wange.
„Habe ich es erwischt?“
„Ja, klar! Du schießt doch nie daneben“, behaupte ich und frage dann: „Was war es denn überhaupt?“
„Ein Reh!“
„Ahhhh, dann ist ja gut.“ Ich winke den Wanderern zu, die nicht wissen, wie knapp sie dem sicheren Tod eben von der Schippe gesprungen sind.
„Gib mir das Gewehr. Ich lade nach.“ Allein auf die Jagd gehen könnte er gar nicht mehr. Seine arthritischen Hände sind nicht dazu in der Lage diesen ihm so vertrauten Vorgang durchzuführen.
„Ich habe mich noch immer nicht daran gewöhnt, wie leise diese modernen Gewehre sind“, murmelt er und wie immer, wenn er das sagt, klingt er verblüfft.
Ich schaue ihn an, lächle und sage: „Da hat Olli dir ein echt tolles Gewehr geschenkt und sich richtig in Unkosten gestürzt.“
Von irgendwo her hören wir einen Knall. Opa zuckt mit den Schultern. „Der hat nicht so ein tolles Gewehr wie ich.“
„Nee, hat er nicht“, stimme ich ihm zu. „Hörst du ja!“
„Na ja, vielleicht war es auch ein Silvesterknaller. Gibt ja immer Jungs, die noch an Neujahr die Böller zünden, weil sie nicht wissen, dass der Spaß schon vorbei ist.“
„Klar, kann auch sein.“
Wir verfallen in Schweigen. Ich denke an Olli und unser Gespräch gestern Abend im Aufzug. Er findet Opa gehört ins Heim. „Du kannst nicht immer das Projektil aus der Waffe nehmen“, hat Olli behauptet.
„Das mache ich auch gar nicht“, habe ich erwidert und gesagt: „Ich tue erst gar keines hinein und abgesehen davon, finde ich, dass Opa zu uns gehört.“ Olli hat nur mit den Augen gerollt. Er will nicht zurück aufs Land ziehen. Ich denke allerdings ein Leben im alten Forsthaus wäre für uns besser, als das in der Stadt. Ich will weg von all dem Lärm und der Hektik. Olli dazu zu zwingen mit uns zu kommen, wäre jedoch wie die Waffe zu laden. Das wäre das Ende unserer Ehe.
Während Opa und ich vom Hochsitz steigen – wir klettern nicht, das machen nur Affen, Eichhörnchen, und Stubentiger wurde mir von meinem Schwiegervater beigebracht – weiß ich, dass mein Entschluss der richtige ist. Niemandem nützt es etwas, wenn wir zusammen aber unglücklich sind und Olli wäre nicht der einzige Vater auf der Welt, der seine Kinder nur am Wochenende sieht. Also soll er doch in der Stadt wohnen bleiben, zumindest unter der Woche, während wir mit Opa auf dem Land leben.
Ich weiß, er wird erst gehörig meckern, dann werde ich ihn dazu breitschlagen, dass wir es auf Probe ausprobieren. Schon nach wenigen Tagen wird er begeistert sein und, mit etwas Abstand und wenn wir nicht länger dazu gezwungen sind auf engstem Raum aufeinander rumzuglucken, da wird alles besser werden. Klar, werden die Leute quatschen und behaupten, das sei das Ende unserer Ehe, aber ich weiß es besser: Das hier, ist ein Neuanfang und der erfordert Vertrauen und Mut. Ja, es ist unorthodox und mit Sicherheit nicht alltäglich, aber deshalb ist es noch lange nicht falsch. Ich nehme Opa an der Hand und höre mir an, wie er von seinem Wald erzählt und davon, dass er niemals hier weggehen möchte und wie gesagt: Das muss er auch gar nicht, denn ich werde bei ihm sein und die Munition aus der Waffe nehmen.
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