Diesmal mit einer Geschichte von Isabella Muhr, die von Nicole König herausgefordert wurde. Wir wünschen Euch ganz viel Spaß beim Lesen.
Silvesterrakete
Gedankensprung
Unfall
Kartoffelbrei
Blumenvase
Mitarbeitergespräch
Waschmaschine
Eierlikör
Heizung
Bleigießen
Holzeisenbahn
Bratwurststand
Entsafter
Jackpot
Kerzenwachs
Die Gummisohlen seiner Stiefel hinterließen schmatzende Geräusche auf dem matschigen Trampelpfad, als er missmutig durch den Nebel der verlassenen Parkanlage stapfte. Den ganzen Abend über hatte es geregnet und die Erdoberfläche war nun ein einziges, unansehnliches Sammelsurium an Schlamm. Die durchdringende Kälte war erfolgreich durch seinen Mantel bis zu seiner Haut gekrochen und er schlug fröstelnd seinen Mantelkragen nach oben. Es war bereits kurz vor zwölf Uhr Nachts, (also nur mehr zwanzig Minuten, bevor das neue Jahr offiziell seinen Beginn fand) und er wusste absolut nicht, wo er hingehen sollte. Wie ein auf der Autobahnraststätte ausgesetzter Hundewelpe marschierte er mit hängenden Schultern und ohne jeglichen Plan durch die Grünflächen und dachte an Angela. Der Gedanke an seine Exfreundin brachte ihm einen fiesen Stich in der Brust ein.
Ausgerechnet drei Tage vor Weihnachten hatte er sie inflagranti mit Karl (dem Besitzer des Bratwurststandes direkt am U-Bahnplatz) erwischt. Er war wegen eines ziemlich aufreibenden Mitarbeitergespräches früher aus der Arbeit nach Hause gekommen und hatte Angela und Karl auf der Waschmaschine entdeckt, wo sie sich gerade irgendwelchen abartigen Sexperimenten mit Kerzenwachs und Eierlikör widmeten. Wortlos war er damals aus der Wohnung gestürmt und hatte es seither nicht mehr gewagt, diese zu betreten.
Stattdessen war er zu seiner Schwester und seinem Schwager geflüchtet, die ihn ohne zu Zögern über die Feiertage herzlich aufgenommen hatten. Dort wurde er seither fürsorglich mit Plätzchen, Punsch und familiärer Nestwärme umhüllt und konnte winzige Augenblicke lang sogar die permanenten Gedankensprünge hin zu seiner Angela unterdrücken. Es war wirklich eine schöne Zeit. Doch die Stimmung war an diesem heutigen Abend radikal umgeschlagen, als er beim Bleigießen einen Klumpen aus dem Wasser gezogen hatte, der haargenau wie eine Bratwurst ausgesehen hatte. Er war in seinem angetrunkenen Zustand ohnehin total sentimental und gleichzeitig irrational unterwegs, weshalb ihm dieses verräterische Stück Bleibratwurst den Rest gegeben hatte. Zornig hatte er das Ding gegen die Heizung in der Ecke gepfeffert und war in die Anonymität der Nacht hinaus verschwunden, um mit sich und seinem Frust allein sein zu können. Am liebsten wäre er mit seinem Wagen die Straßen rauf und runter gebrettert, aber in seinem Zustand hätte das nur in einem Unfall geendet, weshalb er sich zu einem Spaziergang entschloss. Auch jetzt noch waren die Hände in seinen Manteltaschen zu Fäusten geballt und seine Gesichtszüge waren zu einer grimmigen Maske zusammengefroren. Er stieß geräuschvoll die Luft aus seinen Lungen in der Hoffnung, den Frust, der sich darin festgesetzt hatte, mit hinaus zu jagen. Bilder eines haarigen mit Kerzenwachs verschmierten Hinterns drängten sich vor sein geistiges Auge und er schüttelte unwillig den Kopf. Er hätte Karls Schwanz einfach in Angelas Entsafter stecken sollen anstatt einfach abzuhauen.
„Miststück!“ fauchte er in die Schwärze der Nacht hinaus. Er zuckte erschrocken zusammen, als sich ein Schatten auf der Parkbank nur wenige Schritte von ihm entfernt zu bewegen begann. Wie eine Schildkröte versuchte er seinen Kopf im schützenden Stoff seines Mantels zu vergraben, um sich vor der Peinlichkeit dieses Moments zu verstecken, doch es war zu spät.
„Meinen sie mich?“ erkundigte sich eine zarte Frauenstimme, die offensichtlich zu der Gestalt auf der Bank zu gehören schien.
„Äh, was?“ entsetzt blieb er wie angewurzelt stehen und schluckte trocken. Er hatte nicht damit gerechnet zu so später Stunde noch jemandem zu begegnen. Unsicher blinzelte er zu dem Schatten hinüber und versuchte durch die spärlich vorhandenen Lichtverhältnisse zu erkennen, mit wem er es zu tun hatte. Doch das einzige, was er erkennen konnte, waren weiße Zähne, die sich ihm in Form eines amüsierten Lächelns präsentierten. Etwas ermutigt von diesem Anblick, wagte er sich einen Schritt nach vorne.
„Sie scheinen genau so gute Laune zu haben, wie ich. Wenn sie wollen, können wir gerne zusammen auf das neue Jahr anstoßen“, bot die Frau mit dem strahlenden Gebiss an und klatschte auffordernd mit ihrer Hand neben sich auf das Holz. Er zögerte eine Sekunde, dann gab er sich einen Ruck und nahm neben der Unbekannten Platz. Der Geruch von Kartoffelbrei stieg ihm in die Nase und er runzelte etwas verwirrt darüber die Stirn, verkniff sich jedoch eine Frage dazu.
Beruhigendes Schweigen breitete sich über ihnen aus und er merkte, wie sein Atem gleichmäßiger wurde und sich seine Muskeln allmählich entspannten.
„Und? Irgendwelche guten Vorsätze fürs neue Jahr?“ wollte die Frau mit der weichen Stimme neben ihm wissen. Er starrte stur geradeaus und zuckte nur mit den Schultern. „Also ich werde definitiv keine Bratwurst mehr essen können“, prophezeite er freudlos und schnaubte dabei noch einmal verächtlich.
„Also ich habe mir fest vorgenommen, nächstes Jahr einen Töpferkurs zu belegen und meine Familie zu ihren Geburtstagen mit selbstgemachten Blumenvasen zu quälen“, erklärte die Frau, ohne sich von der Bitterkeit in seiner Stimme beirren zu lassen. „Außerdem werde ich den Jackpot knacken, von dem Geld eine Holzeisenbahn in Lebensgröße bauen lassen und damit die ganze Welt bereisen.“
Nun war er es, der amüsiert lächeln musste. Als er einen Blick in ihre Richtung wagte, konnte er erahnen, dass sie es ihm gleichtat. Eine einzelne Silvesterrakete explodierte plötzlich über ihren Köpfen und erhellte den Platz um die Parkbank. Während sich unzählige kleine Explosionen zu dieser ersten dazugesellten und bunte Funken den Himmel herabrieselten tat sein Herz einen Satz, als er in das schöne Gesicht seines weiblichen Gegenübers blickte. Sie hatte feuerrote, wilde Locken und ihre Augen leuchteten in einem tiefen Jadegrün. Er lächelte sie noch eine genüssliche Weile an, in der das Grinsen in seinem Gesicht immer breiter zu werden schien, bevor er verkündete: „Ich heiße Paul.“ Sie erwiderte sein Grinsen, schenkte ihm einen hinreißenden Augenaufschlag und flüsterte beinahe schüchtern.
„Frohes neues Jahr Paul.“
2 Kommentare:
Hey, ich habe gerade dienen bog entdeckt, und er ist echt total schön! ich bin gleich mal Leserin geworden :) ich würde mich wirklich sehr freuen wenn du auch mal bei mir vorbeischauen würdest, Liebe Grüße Aileen :)
Hallo Aileen,
Danke für deine lieben Worte,
Ich bin dann gleich mal bei dir vorbei gesurft ;)
Lieben Gruß Jeanette
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